Ein Mann. Der Krebs. Das Tagebuch.

by Take Janssen


Freitag der 13. - Die Hiobsbotschaft



"Es ist das, was ich befürchtet habe", beginnt der Arzt das Gespräch. Ich schaue ihn an mit offenen Augen, ohne zu zwickern, in Erwartung dessen, was mir seit Wochen auch schon durch den Kopf geisterte, aber dennoch in sich die Hoffnung barg, dass mich eine göttliche Kraft vor dem bewahrt. "Hoffnung ist eine Jagd ohne Spur", sagte mal ein Dichter.

Einige Sekunden ist es still, er wartet auf meine Reaktion. Ich reagiere nicht, ich weiß, was jetzt folgt.

"Ich will offen sein. Die Mestastasen sind in allen Knochen, haben im ganzen Körper gestreut", führt er weiter aus und schaut auf den Bildschirm.

Gestern war ich in der Radiologie und wurde umfangreich "gecheckt", MRT, CT, Röntgen, spritzen von radioaktivem Stoff???, die komplette Prozedur. Die Ergebnisse wurden der Praxis online übermittelt. Ich sage nichts. Ich kann mir das von meinem Körper einfach nicht vorstellen. Voller Metastasen? Ich zweifle es an. Ist das noch "mein" Körper? Ich bin hellwach, bin voll auf Empfang. Sonderbar, irgendwie berührt mich das gar nicht, es ist so als ob es sich um jemand anderes handelt. Ich will fragen, ob die Punktierung, die Entnahme der Gewebeprobe vor vier Tagen zum gleichen Ergebnis kam, unterlasse es aber und blicke ihn direkt in die Augen.

"Es gibt keine Option, wir müssen therapieren. Keine Diskussion."

Ich überlege. "Was passiert, wenn wir nichts tun?", will ich nun wissen.

"Dann sind Sie in spätestens einem Jahr tot. Sorry, ich bin ganz offen, es ist hart, das ist die Realität."

"Ich habe keine Angst vor dem Tod", ist meine nüchterne Antwort und ich meine es ernst, ohne eine Spur von Traurigkeit oder einer anderen emotionalen Regung, denn die Frage des irdischen Ablebens stellt sich mir nicht erst seit diesem Moment.

"Reden sie nicht sowas", ist seine barsche Antwort.

"Ich meine es Ernst, ich beschäftige mich ja schon seit Wochen ..".

Er unterbicht mich. "Es gibt keine Wahl. Ich will Sie mindestens noch die nächsten fünf Jahre hier sehen, dann gehe ich in Rente."

"Wie wäre der Verlauf, der ganze Krankheitsverlauf innerhalb des Jahres?"

"Es wird schlimm. Zuerst bleibt es wie jetzt." Es macht eine langsame horizontale Handbewegung, um dann seine Hand plötzlich in die Höhe schießen zu lassen. "Dann steigen die Beschwerden. Ich will Ihnen ein Beispiel erzählen von einem Patienten, der sich in der fast gleichen Situation befand, ja, es ist wirklich vergleicbar. Der lebt nun seit acht Jahren mit einer angemessenen Lebensqualität."

"Was heißt denn angemessene Lebensqualität?"

"Normal pinkeln werden Sie nicht mehr können, aber ..."

Jetzt unterbreche ich ihn. "Ich habe so viel erlebt und genossen, dass ich nichts Neues mehr probieren muss, ich weiß nicht, was es noch Schönes zu erleben gäbe, einzig die Neugierde hält mich hier ... vielleicht Reisen oder so ..." Ich denke dabei an mein Leben, wie ich es bisher nie, doch in den beiden vergangenen Monaten öfter getan habe, eher vielleicht, um mir selber einen Grund zu liefern, der meine Gedanken zum endgültigen Abschied von Mutter Erde, zu rechtfertigen. Doch ganz stimmt das nicht, denn im Grunde möchte ich noch einiges "erledigen", zu dem ich trotz meiner mannigfaltigen Aktivitäten nicht gekommen bin, unfertige "Baustellen", die xxxx. In früheren philsophisch angehauchten Gesprächen habe ich selber oft geäußert, dass ein Menschenleben von hundert Jahren nicht ausreichen würde, um alle materiellen und immateriellen Interessen eines weltoffenen Geistes zu befriedigen. Nun ja, die Ansichten ändern sich. Philosophie ist des Trübsals süße Milch.

"Wie sieht die Therapie aus?", frage ich den Arzt.

"Ich zeige Ihnen zwei Optionen auf, die erste ist: Dauer sechs Monate. Sie nehmen Tabletten und bekommen Spritzen alle vier Wochen. Diese Version ist teuer. Sie müssen mit fünf bis sechs Tausend Euro rechnen ... pro Monat."

Ich schlucke. "Das kann ich nicht bezahlen."

"Die Krankenkasse bezahlt es, aber Sie ja müssen vorschießen. Das sind Kosten, die bei Ihrem Basistarif anfallen."

In der Tat ist es so, dass ich auf einem finanziellen Level angelangt bin, besser gesagt, gefallen bin, der solche Summen absolut nicht zulässt. Meine beiden Bankkonten weisen im Moment gesamt mal so viel Guthaben auf, wie es zum Lebensmitteleinkauf für den Rest des Monats reichen sollte, bei ziemlicher Einschränkung. Da ich aber sowieso in den letzten zehn Wochen kaum Appetit hatte, halten sich auch die finanziellen Ausgaben in Grenzen. Wie es zu dieser fatalen Finanzsituation kam, die vor zwei Jahren einsetzte, beschreibe ich an anderer Stelle. (siehe "Vorgeschichte")

"Die andere Option geht über drei Monate, da müssen Sie nit circa Eintausend und Zwölfhundert Euro pro Monat rechnen. Tabletten müssen sie auf jeden Fall einnehmen ... " Er schaut in seinen PC. "... die kosten rund sechzig Euro und die Spritze rund fünfhundert bis sechshundert Euro." Sein Blick bleibt am Bildschirm. "Ich gucke gerade nach billigeren Produkten ... nein, die kann ich nicht empfehlen ... Wäre das in Ordnung für Sie?"

xxxx Option Prostata entfernen xxxxxxx



"Ich habe wohl keine andere Wahl." Sechshundert Euro! Ich weiß, ich muss den Umschlag wieder öffnen, den ich eigentlich für meinen Bruder im Pflegeheim vorbereitet hatte, inklusive Briefmarke, für den finalen Fall.

"An der Rezeption bekommen Sie das Rezept. Mit den Tabletten beginnen Sie sofort, heute noch. Die Spritze setze ich hier in der Praxis nächste Woche." Er sagt es in einem Tonfall, der das Gespräch für beendet erscheinen lässt. Das klingt für mich zu sehr nach Abwürgen. Ich habe Fragen. "Welche Aussichten bestehen, wenn wir die zweite Version verfolgen?"

"Die Chance auf die nächsten fünf bis acht Jahre sind durchaus gegeben. Wie gesagt bei entsprechender Lebensqualität ..." Der Mediziner ruscht in seinem Stuhl nach hinten, er streckt die Beine seitlich aus. Schon beim ersten Anblick hatte ich ihn als lässig-burschikosen Typen eingeschätzt, was mir durchaus gefiel. Manchmal, beim Hereinrufen in sein Besprechungszimmer dutzte er mich sogar. Alles in allem eine sympathische Begegnung.

"Wenn Sie machen, was ich Ihnen sage, dann kann es gut gehen .."

"Medizinische Behandlungen waren für mich immer ein fremder Bereich, ich habe keine eigene fachliche Meinung, also vertraue ich Ihnen."

"Das können Sie, müssen Sie."

"Wann hat der Prozess eingesetzt, ich meine, ich brauchte bis jetzt keinen Arzt, außer Augen- und Zahnarzt, habe nie Medikamente genommen, mir hat bisher nichts gefehlt .."

"Das dachten Sie ... Ich hätte sehr wahrscheinlich schon vor fünf Jahren was festgestellt. Ich bin gut auf dem Gebiet."

Der Anlass, warum ich überhaupt die urologische Praxis aufgesucht habe, war absolut nicht der Gedanke an Krebs, gut, ab und an mal, dass etwas mit der Prostata nicht stimmen könnte, aber nie im Leben Krebs. - (siehe "Rückblende")

Der Heimweg

Es ist 14:30 Uhr, als ich mit dem Rezept in der Tasche die Prxis verlasse. Die Sonne schickt wohltuende, wärmende Strahlen. Ich nehme die Nasen-Mund-Maske ab, atme tief durch. Zum Auto habe ich zwei Minuten Fußweg. Ich bemerke, wie bedächtigt ich schreite, kleine Schritte sind es, darauf bedacht, nicht alszu hart aufzutreten, es ist eher ein schleppender Gang, so wie ich ihn oft bei älteren Menschen beobachtete. Und ich laufe mit gebeuchten Rücken. Spontan wird mir bewusst: ich bin alt. Erst recht nun mit dieser Diagnose, mit dieser Krankheit, mit diesem Defekt. Ich drücke mein Kreuz durch, ziehe die Schultern nach hinten, es schmerzt. Natürlich, bei der seit fast drei Monaten Appetitlosigkeit, sprich zwangsweisen Fastenzeit, habe ich stark an Muskelmasse verloren. Mit zuviel Fett hatte ich nie Propleme, keinen Altersbauch, kein Übergewicht. Gestern in der Radiologie fragte mich die Ärztin, wie schwer ich bin. Ich antwortete, dass ich keine Waage besitze, hatte immer ein ungefähres Gewicht von 88 bis manchmal auch 90 Kilo, daran erinnere ich noch aus meiner aktiven Sportzeit, jetzt müssten es um die 80 sein. Bei einer Körpergröße von 183 cm wäre das fast ideal. "Sicher sind es jetzt auch noch weniger Kilo ...", war ihre Einschätzung.

Ich weiß, dass ich nicht sofort in eine Apotheke kann, muss vorerst meine Finanzen checken. In der Tasche habe ich dreizig Euro und ein paar Münzen. Fünfzig Euro könnte ich noch vom Geldautomatenn holen oder eben den Umschlag zu Hause öffen.

Ein Tag wie jeder andere?

Werkstattbesuch ----- Fahrradkauf ---- Parkplatzsuche - Auto abstellen - zu Fuß nach Hause -- anrufe -- Einladung zum Picknick --- Akkordeon -- Essen --- endlich trinken --- Das Wasser, was mir B. von sich aus gebracht hatte ist verbraucht ---- Wasser aus der Plastikflasche --- Emails checken --- Anruf von M. - Suppe essen ---

Abends

Fußweg 20 Minuten -- ansprechn von T, arbeitet in der Kcühe neben an in der Gstronomie - Hat er meinen Gang beobachtet? ---22:30 Uhr -- müde -- erstmal hinlegen --- Bin plötzlich sehr aktiv --- anzeigen internet --- 00.30 Bettzeit - Urinbeutel ---



Der Aufschrei

by Artworker Henryo
Vom Staunen über Erkennen zur Wut und Schmerz bis zum Aufschreien und schließlich zur Ohnmacht ... 9 Phasen sind es ... Sound bitte anhören ...